Sonstiges

Über Louise Aston

Geschrieben für die Bürgerzeitung Wangen/Westallgäu 2009. Die Ausgabe konnte nicht mehr erscheinen.

Louise Aston
Louise Aston

Nur wenige Monate Lebenszeit waren Louise Meier-Aston noch vergönnt, als sie sich im Herbst 1871 zusammen mit ihrem Ehemann nach jahrelangen Irrfahrten durch halb Europa in Wangen niederließ; die Großstädterin hatte wohl keine Zeit mehr, sich mit dem kleinstädtischen Leben in der oberschwäbischen Provinz anzufreunden, bereits am 21. Dezember des gleichen Jahres starb sie mit 57 Jahren an „Brustwassersucht", ihr Mann, der Mediziner Daniel Eduard Meier, überlebte sie um knapp zwei Jahre.

 

Heute kennt kaum noch jemand Louise Aston und wahrscheinlich wusste auch damals kaum ein Wangener, dass mit ihr eine deutsche Dichterin von einigem Rang, eine radikale Frauenrechtlerin und eine demokratische Revolutionärin mit einem ganz außergewöhnlichen Lebensweg gestorben war, deren Lebensmotto lautete: „Freiem Lieben, freiem Leben,/Hab' ich ewig mich ergeben!" Ihre letzte Veröffentlichung lag schon über zwanzig Jahre zurück, die letzten beiden Jahrzehnte hatte das Ehepaar als politische Exilanten außerhalb Deutschlands verbracht, bevor eine Amnestie ihnen die Rückkehr in das neugegründete Deutsche Reich möglich machte. Und wenn man mehr über Louise Aston gewusst hätte - sicher hätte man ihre radikalen Ansichten über Religion, Politik, Familie und die Stellung der Frau auch in Wangen wenig goutiert. Ganz zu schweigen davon, dass man es hier wahrscheinlich noch unerhörter und skandalöser gefunden hätte als 25 Jahre zuvor in Berlin, wenn sie wie damals Männerkleidung getragen, in aller Öffentlichkeit Bier getrunken und Zigarren geraucht hätte.

 

Geboren ist die Dichterin als Louise Franziska Hoche 1814 in Gröningen bei Halberstadt; mit 20 Jahren wird sie mit dem in Magdeburg lebenden englischen Fabrikanten Samuel Aston mehr oder weniger zwangsverheiratet, bald nach der Scheidung heiratet das Paar zum zweiten Mal und lässt sich erneut scheiden. Louise Aston zieht 1844 nach Berlin, lebt dort in Künstler- und Schriftstellerkreisen, engagiert sich politisch für Demokratie und Frauenemanzipation und veröffentlicht erste Gedichte, die das Ideal der freien Liebe propagieren, dem sie auch in ihrem eigenen Leben folgt, was ihr bald die polizeiliche Observation wegen „unsittlicher Lebensweise" einträgt. In den folgenden Jahren gerät sie wegen nonkonformistischem Verhalten und atheistischer Anschauungen immer wieder in Konflikt mit der preußischen Obrigkeit: man schikaniert sie auf vielfältige Weise, entzieht ihr schließlich das Sorgerecht für ihre Tochter und weist sie mehrfach aus Berlin aus.

 

In den Jahren um das Revolutionsjahr 1848 entfaltet sie fast manisch eine Reihe von rastlosen Aktivitäten: Unstet lebt sie zeitweilig u.a. in Hamburg, München, Zürich, Paris; sie pflegt als freiwillige Krankenschwester Verwundete im schleswig-holsteinischen Krieg, wird selbst verwundet, kehrt nach Berlin zurück und gibt dort nach der Märzrevolution 1848 die politisch kämpferische Zeitschrift „Der Freischärler. Für Kunst und sociales Leben" heraus, bis diese verboten und sie erneut ausgewiesen wird. Sie engagiert sich für verfolgte Demokraten der 48er Revolution. Und sie schreibt, fast ihr gesamtes schriftstellerisches Werk entsteht im Zeitraum von nur drei oder vier Jahren, neben politischen Kampfschriften vor allem die Romane „Aus dem Leben einer Frau", „Lydia", „Revolution und Contrerevolution" und die Gedichtbände „Wilde Rosen" und „Freischärler-Reminiscenzen".

 

1850 heiratet sie den Bremer Arzt Eduard Meier, in dem die unkonventionelle Frau einen politischen Gesinnungsgenossen und einen Lebensgefährten findet, der ihr bis zu ihrem Tod verbunden bleibt, selbst als ihn diese Verbindung seine Stellung als Chefarzt kostet und das Ehepaar schließlich zur Emigration zwingt. Von da an versiegen die genaueren Nachrichten, Meier arbeitet während des Krimkrieges als Militärarzt in Odessa und anderen russischen Städten, später gehen die Meiers nach Siebenbürgen, nehmen dann die österreichische Staatsbürgerschaft an und leben in Klagenfurt und Leibach, bevor es sie schließlich zu ihrem letzten Lebensabschnitt nach Wangen im Allgäu verschlägt, wo man auf dem Alten Friedhof noch heute die beiden Grabtafeln der Eheleute sehen kann, deren Text von dem seit jungen Jahren beinamputierten Eduard Meier (deshalb „Einfuß") selbst testamentarisch bestimmt wurde.

 

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Zitat

Unser höchstes Recht, uns're höchste Weihe ist das Recht der freien Persönlichkeit, worin all uns're Macht und all unser Glauben ruht, das Recht, unser eigenstes Wesen ungestört zu entwickeln, von keinem äußern Einfluß gehemmt; den innern Mächten frei zu gehorchen, die Harmonie der Seele durchzubilden, mag sie auch ein Mißklang scheinen gegenüber dem herrschenden Glauben der Welt. Wer dies Recht der Persönlichkeit antastet, begeht einen brutalen Akt der Gewalt; wer unser Fühlen und Glauben, das Resultat unserer Schicksale, unser höchstes Eigenthum, aus dem Allerheiligsten unseres Herzens herausreißt [...]: der versündigt sich gegen das wahre Heil unserer Seele; der begeht einen Tempelraub, einen Gottesfrevel, von dem ihn die richtende Geschichte nimmer freisprechen kann.

(aus: Louise Aston, Meine Emancipation, Verweisung und Rechtfertigung)

 

 

 

Grabtafeln von Louise Aston und ihrem Mann Eduard Meier auf dem Alten Friedhof in Wangen

Räume und Menschen

 

(Für die Festschrift zum 30-jährigen Jubiläum des Jakobustheaters Karlsruhe)

 

Kaum länger als fünf Jahre kenne ich nun das Jakobustheater; beobachte die Arbeit der „Kollegen" von der Ferne, vom Allgäu aus mit Interesse, Sympathie, Respekt und manchmal auch etwas Neid; und öfter als ich es mir früher hätte träumen lassen, hat mich mein Weg in diesen fünf Jahren nach Karlsruhe geführt, angelockt durch eine Premiere, eingeladen zu einem Gastspiel oder, einmal, als Regisseur einer Jakobus-Produktion. Und obwohl ich nicht wirklich „dazu" gehöre, erscheinen mir diese Räume und diese Menschen vertraut, fühle ich mich in diesem Jakobustheater merkwürdig heimisch.

 

Ich kenne - als oft begeisterter, zumindest nie gelangweilter Zuschauer - den Blick auf die Bühne mit ihrem Hintergund aus schwarz bemalten Ziegelsteinen und blinden Fensterlöchern, ihren rissigen Molton-Vorhängen und den zwei nur scheinbar störenden Säulen, die diesen Bühnen-Guckkasten zwar begrenzen, aber - anders als eine Rampe vor dunklem Abgrund - zu Grenzüberschreitungen geradezu einladen. Kein „schöner" Bühnenraum, aber eine doch merkwürdig anpassungsfähige Blackbox, die szenische Fantasie herausfordert und ermöglicht, bis hin zur Umdrehung der gewohnten Zuschauerperspektive bei „Vieux Carrée".

 

Ich kenne - als des öfteren freundlich zu Gastspielen eingeladener Schauspieler- auch den entgegengesetzten Blick, von der Bühne aus auf die wenigen, mehr oder minder gefüllten ansteigenden Zuschauerreihen, die auch bei eher bescheiden strömenden Zuschauermassen keinen Gesamtüberblick auf das Publikum erlauben, dessen Größe man von daher leicht überschätzt (was der Spiellaune in der Regel durchaus zuträglich ist).

 

Und ich erinnere mich daran, wie sich dieser Bühnenraum langsam, Stück für Stück, Tisch um Stuhl, Tresen um Spielautomat, Salzstreuer um Bierdeckel in Hannis bürgerlich-bizarren Landgasthof verwandelte, während ich hier einige Sommerwochen lang Daniel Calls „Wetterleuchten" für das Jakobustheater inszenieren durfte.

 

Ich kenne auch die kleine glasgerahmte Empore für den Techniker und die enge Wendeltreppe, die zur Schauspielergarderobe hinaufführt, die mit ihrem großen Tisch auch für Besetzungs- und Leseproben, für Konzeptionsbesprechungen und Pausen-Smalltalk, für Krisensitzungen und Feiern (und sicherlich noch für vieles mehr) genutzt werden kann.

 

Und ich habe einige der Menschen kennen gelernt, die zum Jakobustheater gehören - allen voran „meine" wunderbaren Wetterleuchten-Schauspielerinnen, mit denen ich trotz mehrerer krankheitsbedingter Katastrophen eine schöne und intensive Probenzeit hatte; auch Darsteller aus anderen Produktionen, mit denen ich gerne einmal gemeinsam auf der Bühne stehen würde; Regisseure, die durch ihre unterschiedlichen Herangehensweisen und Handschriften die stete Wiederholung des Allzu-Ähnlichen verhindern, durch die viele andere Amateurtheater auf Dauer geprägt sind; aber auch einige dieser Verrückten, die Stunde um Stunde kostbare Lebenszeit investieren, damit dreimal pro Woche hier eine Vorstellung auf die Bretter gebracht wird, auch wenn sie nicht durch den Applaus der Zuschauer belohnt werden, weil sie in der entsprechenden Produktion „nur" Regieassistenz, Technik, Werbung, Kasse oder andere oft undankbare Tätigkeiten „machen" (oder einfach einmal eine Suppe zur Probe vorbeibringen; danke, Petra). Um diese vielen uneigennützigen und verlässlichen Helfer beneide ich das Jakobustheater am meisten.

 

Mag sein, dass es keine besseren Menschen sind als anderswo. Mag sein, dass es hier wie woanders auch Eitelkeit, Egoismus, Missgunst und Intrigen gibt. Aber etwas verbindet die Menschen, die ich hier kennen gelernt habe: dass sie ihre Theaterarbeit „wichtig" nehmen, die Erfahrung, dass sich spielerische Leichtigkeit nur aus Genauigkeit und Konzentration ergibt, die Überzeugung, dass nur Theater, das mit großem Ernst betrieben wird, auch großen Spaß machen kann.

 

Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum.